Sally Perel („Hitlerjunge Salomon“) erzählte in der Stadthalle Wangen seine Lebensgeschichte – Am Freitag exclusiv für rng-Schüler.
„Damit der Schleier des Vergessens nicht zudeckt, was nicht zugedeckt werden darf…“ Den Holocaust überleben, als Kind mit einer Welt konfrontiert zu werden, die die systematische Auslöschung der eigenen Glaubensrichtung vorsieht – 4 Jahre in der Uniform derer getarnt, die bei Erkennen der Wahrheit vor Tötung nicht zurückgeschreckt hätten. „Vier Jahre, die wie vier Ewigkeiten“ langsam vorbeigehen, erfüllt von Krieg, Angst, Ungewissheit und der Sehnsucht nach der Geborgenheit der Familie, die zur seelischen Qual wurde. Was wir außerstande sind uns vorzustellen; Sally Perel hat es erlebt – und hat doch in den Momenten tiefster Verzweiflung nicht aufgegeben; getragen von der inneren Sicherheit „sie werden mich nicht töten“ und der letzten Äußerung seiner Mutter: „Du sollst leben!“.
Allein diese oberflächliche Zusammenfassung der Zeit Sally Perels während des Nationalsozialismus lässt eine vage Idee dessen zu, was dieser Mensch erlebt haben muss. Dieser Mann, der heute mit einem sympathischen Lächeln und einer unglaublichen Herzlichkeit seine Geschichte denen nahe legen will, die die Zukunft in den Händen halten: Auf seinen Reisen durch Deutschland und Israel liest der heute 90-jährige vor Schülern aus seiner Autobiographie „Ich war Hitlerjunge Salomon“, widmet sich den Fragen der Jugendlichen und führt ihnen auf berührende Weise vor Augen, welch unvorstellbare Konsequenzen die blinde Gehorsam einer Masse und der geschürte Hass auf Andersartiges haben kann.
Diesen Wind des Erinnerns trug Sally Perel vergangene Woche in die Stadthalle, Donnerstagabend vor die Öffentlichkeit, Freitag vor umso bewegtere Jugendliche. Die Schüler der Klassen 9 bis J1 waren gefangen von der beeindruckenden Schilderung Perels seines Lebens – in aufmerksamer Stille, von der manch (Geschichts-)Lehrer in seinem Unterricht nur träumen kann, wurden sie Zeitzeugen einer der letzten Überlebenden jener Zeit, lauschten dem schier unvorstellbaren Verlauf seines Überlebens. Ein erschüttertes Raunen bei Unfassbarem – Schmunzeln bei einem von Sally Perels sympathisch eingeworfenen Anekdoten, die häufig auf wichtige Themen der heutigen Jugend anspielten. Wie er es schaffte die Aufmerksamkeit von knapp 200 Jugendlichen für mehr als anderthalb Stunden für sich zu gewinnen? Der vielleicht von manch Einem erwartete „erhobene Zeigefinger“ blieb aus, stattdessen formulierte Sally Perel seine Lesung als einen Appell an Menschlichkeit und an die in jeglicher Glaubensrichtung geforderte Menschenliebe, einen Appell an Individualität und das eigene kritische und reflektierende Denken, zu der seiner Ansicht nach die Schule erziehen müsse. Denn: Um eine Wiederholung der Geschichte ausschließen zu können, müsse „man verstehen, was damals falsch lief“ – der Untergang des eigenen menschlichen Denkens hin zu einer einheitlichen Erziehung zu Hass, der Verlust des „Ichs“ und „Wirs“ in der Masse.
Trotz oder gerade wegen diesem ernsten und so erschütternden Thema lag die Faszination der Vorlesung an dem Gefühl mit dem man sie verließ: statt einer erdrückenden Stimmung ging so manch Erwachsener und auch Schüler mit einem Gefühl der Verantwortung und Zuversicht angesichts des Unterschieds, den ein Jeder in seinem eigenen Handeln gegenüber seinen Mitmenschen machen kann, hinaus. Vielleicht hallte hierbei das von Sally Perel hervorgehobene jüdische Zitat „Wer auch nur einem Menschen das Leben rettet, rettet die ganze Welt“ nach, oder aber sein Auftrag beziehungsweise seine mit nahegehendem Nachdruck formulierte Bitte an die heutige Generation: die durch ihn gehörte Wahrheit auch nach ihm weiter zu überliefern und somit zu einem friedlichen Zusammenleben in Deutschland beizutragen – ohne Diskriminierung, Fremdenhass und Ausgrenzung: angesichts der aktuellen Entwicklung in Deutschland wichtiger denn je. Hierzu noch ein Zitat Einsteins, das die Botschaft Sally Perels aufgreift; „Lerne aus der Vergangenheit, lebe in der Gegenwart und hoffe für die Zukunft. Der wichtige Punkt dabei ist, nicht aufzuhören, Fragen zu stellen.“