Auf unserer Homepage haben wir schon über einige Autoren, deren Lesungen und natürlich auch über die dazugehörigen Bücher berichtet. Dieser Bericht gehört sicher in diese Kategorie und ist dennoch besonders, denn Lisa Mair geht bei uns an der Schule in die neunte Klasse.
Natürlich ist ihr Lebenstraum Berufs-Autorin, doch bis es soweit ist, gibt es noch einige Hürden zu überwinden. Gymnasium und Bücher schreiben – geht das überhaupt zeitlich? Geschrieben wird bei ihr fast jeden Tag – morgens vor Schulbeginn oder am späten Nachmittag nach Schule und Hausaufgaben. Doch aus den Aufzeichnung ein Buch zu erstellen und dann auch noch einen Verlag zu finden, dazu gehört neben Talent auch viel Überzeugungsarbeit. Sie konnte mit ihrem Manuskript die Lektoren des aavaa-Verlages überzeugen, und so steht nun ihr Erstlingswerk, ein Jugendkrimi, in den Regalen der örtlichen Buchhandlungen. Sollte er dort – wie in den letzten Tagen öfters geschehen – ausverkauft sein, dann bestellt ihn doch einfach vor Ort im Geschäft. Wir hoffen, dass euch der Jugendkrimi gefällt und haben mit Genehmigung der Autorin hier noch eine Leseprobe angehängt.
LESEPROBE
Mahdi hakt sich ohne zu zögern bei mir ein. Meine Freundin tritt an meine andere Seite. Ich fühle mich gleich ein bisschen besser. Doch die Angst-Armee in meinem Bauch ist immer noch sehr stark. Zwar gibt es jetzt eine kleine Mut-Verteidigung, aber sie hat noch nicht die Oberhand erreicht. Noch lange nicht. „Schaut euch das an.“ Mahdi zeigt nach vorne auf ein kleines Haus. Dichte Nebelschwaden-Ballerinas schweben in einem Vorgarten, der verwüstet und ungepflegt ist. Es wirkt so, als hätte ihn in den letzten fünf Jahren niemand betreten. Die Fensterläden sind weit geöffnet und hängen aus den Angeln. Der Novemberwind scheint Fange mit den weißen, zerfetzten Vorhängen zu spielen. Der Briefkasten ist aufgebrochen und liegt vor dem rostigen Gartentor, das quietschend auf und zu schwingt. Eine Zeitung wird vom Wind die Straße entlang getrieben. „Was da wohl für ein Grufti drin lebt oder ob dort überhaupt jemand wohnt?“, Mahdi legt den Kopf schief. Ich schlucke den dicken Kloß in meinem Hals runter. „D…da…müssen w…wir…rein“, stottere ich. Der Wind trägt meine Worte weit in den Himmel. Beide schauen mich völlig entgeistert an. Ein schriller Schrei zerteilt die Angstatmosphäre. Mein Herz setzt für einen Moment aus. Was war das? Vor mir rennt Shona kreischend hin und her. „Hilfe, hilft mir denn niemand! Ein Geist hält mich gefangen und sitzt in meinem Gesicht.“ „Shona, halt die Klappe, das ist nur der Vorhang.“, flucht Mahdi und zieht ihr den Schleier vom Gesicht. Er wirft ihn in einen Busch. Ein dunkler Schatten legt sich über das Gebäude. Schwarze Wolken machen den Tag zur Nacht. Schlimmer geht es nicht. Ich möchte mir gar nicht ausmalen, was passiert wäre, wenn Papa diese Wohnung gekauft hätte. „Gemeinsam?“ Ich strecke meine Hände nach links und rechts. „Freunde erkennt man in der Not“, hallen mir die Worte meiner Oma durch den Kopf. Bitte bleibt bei mir. Lasst mich nicht im Stich. „Alle oder Keiner“, ich spüre, wie Shonas Stimme zittert und ihre Handfläche meine berührt. In meiner anderen spüre ich Mahdis erstaunlich ruhige Hand.
Mit dem Öffnen des Gartentores öffnen sich in meinem Gehirn 1000 Fragen. Wie ein Komet schießt plötzlich eine Erkenntnis durch meinen Kopf: Theoretisch könnte ich mich jetzt auch total blamieren, denn eigentlich hat Paul mir ja nie gedroht. Ich habe mir das alles in meinem Kopf zusammengereimt! Hoffentlich werde ich mit meinen Vermutungen Recht behalten. Mein Fuß stößt gegen etwas Kleines, Weiches. Als ich es berühre, quiekt es kurz auf. Ein hoher Schrei entfährt meiner Kehle. Die kleine Gestalt huscht durch ein winziges Loch in der Haustür. Alles gut Serafina, das war bloß eine Maus. Unter mir spüre ich jeden Kieselstein. Es ist, als würde man bei Google einen Begriff eingeben und sich, wenn man auf „Suchen“ klickt, 100 Links öffnen. Bei mir gibt mein Professor Kopf als Suchbegriff „Pauls Türe öffnen – ja oder nein?“ ein. Als Fund kommen 100 Antworten. „Soll ich jetzt einfach klingeln?“ „Nein, dass hört sich so an, als ob Oma zu Besuch kommt, mit einem schönen Blumenstrauß. Klopf lieber an.“, empfiehlt mir Shona. „Ach was, geh einfach rein.“, schlägt Mahdi vor. Ich entscheide mich für die zweite Variante. Die Haustüre ist nur angelehnt. Ich schaue vorsichtig durch den Schlitz – nichts. Ich kann nur Dunkelheit erkennen. Schnell ziehe ich meinen Kopf wieder heraus. „Seltsam, die Lichter sind alle aus. Aber er wird ja wohl nicht gegangen sein, ohne die Türe zu schließen.“ Noch während Shona das sagt, öffne ich vorsichtig die Tür ein bisschen weiter. „Sag mal spinnst du? Du willst doch nicht ernsthaft in das Haus eines wildfremden Mannes einbrechen!“ Meine Freundin zieht mich ruckartig aus dem Türrahmen. „Pst.“ Ich halte meinen Zeigefinger vor den Mund. Erneut mache ich mich an dem Eingang zu schaffen. „Sei vorsichtig.“, haucht Mahdi mir zu. Ich nicke stumm. Nun drücke ich die Tür ganz auf, so dass sie den Blick auf einen Vorraum frei gibt. Mein Körper ist ein glibbriger Wackelpudding, mein Herz eine Achterbahn und mein Kopf ein Chaos. Das Haus hat kein bisschen Ähnlichkeit mehr mit der Immobilie, die wir besichtigt haben. Noch einmal blicke ich in den betrübten Himmel. Hoffentlich werde ich ihn wiedersehen. Ich mache den ersten Schritt über die Türschwelle. Die Dunkelheit umhüllt uns wie eine dunkle Decke. Das Knarzen des Fußbodens unter unseren Füßen wirkt auch nicht mehr freundlich und wie eine Begleitung, sondern es ist unheimlich und ich habe Angst, dass es uns verrät. In meinem Nacken spüre ich Mahdis Atem, hinter ihm das hektische Atmen von Shona. An den Wänden hängen dunkle Bilder. Ein lautes Krachen ertönt, gefolgt von einem Hilfeschrei. „Shona!“, ich eile zu ihr. „Ich stecke fest! Helft mir hoch, bitte.“ Ihr Fuß steckt im Boden fest. Zwei Bretter haben anscheinend nachgegeben. Ihr Bein blutet. „Keine Angst, ich ziehe dich raus“, munter Mahdi sie auf. „Seid leise.“ Shonas Gesicht ist angstverzerrt. Mahdi streckt ihr die Arme entgegen und zieht sie mit einem kräftigen Ruck raus. „Geschafft.“ „Au, mein Knöchel. Ich kann nicht mehr auftreten.“ „Ich stütze dich.“, Mahdi greift ihr unter die Arme. Ich richte meinen Blick nach vorne. Auffälliger können wir wirklich nicht sein! Da wäre sogar eine Herde Kindergartenkinder leiser gewesen. Die Wohnzimmertür vor uns ist auch nur angelehnt. Durch den Spalt scheint ein Hauch Licht. Geräuschlos zeige ich mit den Finger darauf. Mein Hintermann nickt. Auf leisen Sohlen nähern wir uns dem Wohnzimmer. „Herr Devillie?“, wispere ich zaghaft. O.K., ich gebe zu, durch unser Knarzen wird er uns schon vernommen haben und wenn nicht, wird das jetzt auch nicht weiterhelfen. Wir sind an der Tür angekommen. Meine Beine fühlen sich an wie Pudding. Ich habe das Gefühl, dass sie jede Sekunde in 100 Einzelteile zerfallen und ich sie erst wieder zusammen puzzeln muss, bevor ich weitergehen kann. Mein Kopf dreht sich nochmals zu meinen Freunden um. Sie stehen dicht hinter mir. Mahdi legt mir beruhigend den Arm auf die Schulter, klopft mich zweimal ermutigend und deutet auf das Wohnzimmer. Shona reckt ihren Daumen in die Luft. Ich wende meinen Kopf in die Richtung unseres Ziels. „Serafina, ganz ruhig! Es ist deine einzige Chance. Wenn du sie nicht nutzt, wird er dich umbringen, ohne dass du dich gewehrt hast. Willst du das Leben deiner Nachfolger wirklich wegschmeißen ?“ Nein, das will ich nicht. Schließlich habe ich auch Freunde, die diesen schweren Weg mit mir gehen. Ich darf jetzt keinen Rückzieher machen. Das ist leichter gesagt, als getan. Rosi Herz pocht so fest gegen die Herzkammerjalousien, dass ich Angst habe, sie und ihr Herzreich könnten jeden Moment in rote Splitter zerbrechen, die mich aufschlitzen. Ich atme tief ein und aus. Vielleicht wird es das letzte Mal sein. Ich habe keinen blassen Schimmer, was hinter der Tür auf mich wartet. Meine Hand berührt die silberne Klinke. Sie fühlt sich an wie eingefroren. Es wird still. Totenstill.